Unser Verständnis von Behinderung im Lauf der Geschichte ist über die Zeit gewachsen. Es ist keine eigenständige Geschichte der Medizin, des Rechts, der Kunst oder der Religion. Vielmehr ist die Geschichte der Menschen mit Behinderung eine Geschichte unsere Gesellschaft. Wie sie miteinander umgeht, sich voneinander abgrenzt und was unsere Gesellschaft als normal empfindet.
Es ist daher falsch Behinderung nur aus einer Perspektive zu betrachten. Behinderung als Begriff mit einer technischen Definition, welche eine Wesenseigenschaft und Minderwertigkeit beschreibt, trifft nicht die sozialen Prozesse dahinter. Etikettierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung gehen mit der Abweichung von der Norm einher.
Eine Beeinträchtigung zu haben, bedeutet häufig eine Norm zu verletzen, die andere Personen aufstellen. Diese Abweichung von der Norm besitzt isoliert betrachtet keinerlei Wertung, sondern entsteht erst in Wechselwirkung mit einem konstruierten System aus Regeln.
„Das Fach Geschichte ist ein Spiegelbild unserer heterogenen Gesellschaft und besitzt eine Vielfalt an Perspektiven.“
Die Gesellschaft oder auch eine Minderheit beispielsweise aus Experten, erstellt Regeln, welche das Unnormale technisch definiert. Diese technischen Definitionen wiederum wirken auf die Gesellschaft zurück, sodass der Autor bei einer historischen Geschichte über Behinderung beide Sichtweisen angemessen erzählen muss.
Eine wissenschaftliche Betrachtung rückt darüber hinaus nur an die Realität heran. Geschichte ist keine Meistererzählung und kann die Gesellschaft niemals komplett erfassen. Das Fach Geschichte ist ein Spiegelbild unserer heterogenen Gesellschaft und besitzt eine Vielfalt an Perspektiven sowie daraus resultierenden Erzählungen.
Die Beschränkung auf eine „medizinische“ oder eine „soziale Sichtweise“ erscheint daher nicht angemessen, da beides wechselseitig miteinander wirkt.
Behinderung ist einerseits eine spezifische Unfähigkeit, welche aufgrund von sozialen Prozessen zugeschrieben sowie erzeugt wird und anderseits auch eine Beeinträchtigung, welche aus medizinischer Sicht besteht und einer Rehabilitation legitimiert bzw. aus dieser Sicht bedarf.
Die Frage nach der Norm im Lauf der Geschichte
Zusätzlich ist zu sehen, dass Behinderung kein universelles, sondern ein zeitlich gebundenes Phänomen ist. Was richtig oder falsch, schön oder hässlich bzw. normal oder unnormal ist, ist nicht pauschal zu beantworten. Dagegen muss Normalität im zeitlichen Verlauf immer wieder neu definiert und hinterfragt werden. Aus diesen Wandel entsteht eine neue gesellschaftliche Wechselwirkung, welche in verschiedenen Bereichen wie der Medizin, des Rechts, der Philosophie oder in der Religion beispielsweise erfasst werden will.
Unser Verständnis von Behinderung im Lauf der Geschichte gewachsen und wandelte sich mit der Gesellschaft über die vielen Jahre hinweg.
Durch den Wandel der gesellschaftlichen Wechselwirkungen verändern sich auch die Etikettierung, Stigmatisierung und die Aussonderung bzw. der Umgang mit Menschen, welche nicht als Normal angesehen werden, sodass die Mehrheitsgesellschaft der „Normalen“ mit in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung rückt.